Es ist erstaunlich, dass jeder Führerscheininhaber irgendwann einen Erste-Hilfe-Kurs besucht hat. Was nützt aber die beste Ausbildung, wenn die Führerscheininhaber lieber am Unfallort vorbei fahren, statt Erste Hilfe zu leisten. Wenn die Pflicht der Ersten Hilfe von der Ignoranz, egozentrischer Mitmenschen ausgebremst wird.
Die Situation ist oft die gleiche. Es passiert ein Unfall und niemand ringsherum bewegt sich. Früher schaute man eventuell noch verlegen auf den Boden. Heute fällt der Blick auf das Smartphone oder die Smartwatch, um sich in die entschuldigende Position zu bringen, dass man doch nichts vom Unfall mitbekommen hat.
So ging es mir in dieser Woche, als ich mit der Straßenbahn in die hallesche Innenstadt fahren wollte. Mir fiel ein PKW auf, der in meiner unmittelbaren Nähe den Bordschein rauf und runter fuhr. Knappe 300 Meter weiter knallte es dann unüberhörbar, als dieser PKW in ein parkendes Auto fuhr und unsanft am Bordstein einhakte. Die Straßenbahnhaltestelle war prall gefüllt. Mehr als einen kurzen Blick zum verunfallten Auto leisteten sich die Passanten allerdings nicht.
Auf meinem Weg zum Unfall fielen mir dann auch noch die Autos auf, die den Umweg über die gepflasterten Straßenbahnschienen nahmen, um den stauverursachenden Unfallort zu passieren. Nur ein einziges Fahrzeug hinter dem Unfallauto stand. Das Warnblinklicht war an aber niemand stieg aus. Während ich nun meine zahlreichen Kilos in Richtung Unfallstelle bewegte, bemerkte ich spöttische Blicke aus Fahrzeugen im Stau. Es ist schon beachtlich, dass die Pflicht zur Ersten Hilfe von solch einer klein karierten Eigenschaft wie Schadenfreude, über sich bewegende Schwerbeleibte, verdrängt wird.
Am Unfallort angekommen, leistete ich dann die notwendige Erste-Hilfe und rief in diesem Rahmen auch die Notrufnummer („112“ für die, die sie nicht kennen) an. Der Leitstellenmitarbeiter alarmierte einen Rettungswagen und die Polizei, die umgehend den Einsatzort erreichten.
In der gesamten Zeit fuhren weitere Fahrzeuge an mir vorbei und beäugten neugierig den Unfallort. „Da hilft schon jemand.“, wird in so manchem Fahrzeug gesagt worden sein, um sich von der Pflicht der Ersten Hilfe zu entbinden. Welch Ignoranz und Gleichgültigkeit doch in so vielen Menschen steckt.
Für mich war es der zweite, private Fall von Erster Hilfe in diesem Jahr. Dabei dränge ich mich keineswegs auf.
Erste Hilfe beginnt beim Erkennen und jeder ist verpflichtet Erste Hilfe zu leisten. Die Tatsache, dass niemand geholfen hat bzw. zur Unterstützung hinzukam, macht mich traurig. Da kann man immer nur hoffen, dass bei einem eigenen Unfall jemand in der Nähe ist, für den die Worte Erste-Hilfe mehr als nur ein Pflichtprogramm für den Führerscheinerwerber bedeuten.