Schwachsinniges Lohngefälle zwischen Ost und West

Regenrinnen, Straßen und Plätze. Alle haben sie ein Gefälle, mal mehr und mal weniger. Diese Gefälle haben jedoch eine nachvollziehbare Funktion. Komplett unsinnig scheint jedoch das Lohngefälle in den medizinischen Arbeitsbereichen zwischen „Ost“ und „West“ in Deutschland, mehr als 20 Jahre nach der politischen Wende.

Schwachsinniges Lohngefälle - Ost und West Es ist doch schon paradox, dass das als Hartz IV bekannte Arbeitslosengeld II bundeseinheitlich mit 382€ an erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen ausgezahlt wird, Gehälter allerdings noch heute nach Ost und West taxiert werden. So erfuhr ich es auch während meiner Arbeitszeit als Physiotherapeut im „östlichen“ Halle (Saale). Ursprünglich war ich besonders stolz erstmals nach dem Abitur durch einen Vollzeitjob regelmäßig Gehalt zu beziehen. Schnell musste ich das in der Schule erlernte Wissen über brutto und netto wieder in mein Gedächtnis  rufen und merken, dass am Ende irgendwie weniger übrig blieb als ich es erwartet hätte.
Letztendlich war mein netto-Gehalt keine vier Stellen lang und mein Interesse für das Gehalt meiner Kollegen um mich herum und überregional geweckt. Schnell wurde mir bewusst, dass es in den neuen Bundesländern finanziell für eine Anstellung mit 40 Stunden pro Woche nichts reelles zu holen gibt, vergleicht man doch die Gehälter mit den Kollegen in den alten Bundesländern. Mindestens 400-500€ brutto mehr versprachen einem die online-Angebote der Arbeitsagentur, wenn ich doch nur nach Hessen, Baden-Württemberg  oder in eines der anderen, insgesamt zehn alten Bundesländer gegangen wäre. Diese Gehaltssteigerung wär jedoch kein Reingewinn gewesen, sondern nötig um Fixkosten einer alleinstehenden Person zu decken.
Interessant wird es dann noch, wenn man die Berechnung einer Bedarfsgemeinschaft kennt, welche aus Mutter und Kind besteht. Der von der Agentur für Arbeit ausgerechnete Betrag, welcher es dem Leistungsberechtigten ermöglichen soll ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht, läge demnach rund 200€ über dem Gehalt, was man durchschnittlich mit einer Vollzeitstelle (40h/Woche) hier in Halle erwirtschaften könnte.
Final müsste man also trotz Anstellung immer noch zum Amt, um mit einer Aufstockung rechtlich überhaupt lebensfähig zu sein.  Ist es das Ganze wert? Natürlich, denn daheim bleiben und gemütlich Geld zu beziehen ist manchmal sicherlich reizvoll, einen geregelten Arbeitsalltag mit seinen Vorteilen kann das allerdings nicht ersetzen. Ökonomisch macht es keinen Sinn, will doch die Agentur für Arbeit, dass man unabhängig von ihr Geld erwirtschaften soll, um mittels Steuern den Staat zu finanzieren.
Während meiner Praktika nach dem Abitur wurde mir dann noch weiter bewusst, dass es nicht nur den Physiotherapeuten so geht. Im Allgemeinen kann man das Ganze fast eins zu eins auf weitere medizinische Berufsgruppen wie Ergotherapeuten und Rettungsassistenten übertragen.

Vielfältige Ursachen
Ich möchte den Arbeitgebern hier nicht die ganze Schuld in die Schuhe schieben, wobei es einem selbstständigen Therapeuten trotz aller Verantwortung finanziell deutlich besser geht als dem Angestellten. Nichts desto trotz muss der Praxisinhaber mit den Krankenkasse abrechnen und genau „hier fängt der Hamster an zu humpeln“ (frei nach Olaf Schubert). Pro Behandlung beträgt die Differenz zwischen „Ost“ und „West“ durchschnittlich fast zwei Euro, was je nach Arbeitsintervall 250€ und 600€ mehr Umsatz bedeutet. Allein durch Angleichung würde dem Arbeitgeber mehr Geld zur Verfügung stehen, welches er an seine Angestellten ausschütten kann.
Die Verhandlung mit den Krankenkassen führen gewöhnlich die Verbände, welche sich offensichtlich nicht sehr geschickt anstellen. Die Begründung für die Differenz in der Gebührenordnung liegt wohl in gesetzlichen Veränderungen Ende der 90er Jahre und ist damit alles andere als aktuell.
Schwachsinniges LohngefälleEin weiterer und finanziell ebenfalls entscheidender Punkt sind die Privatpatienten, welche im Gegensatz zu den schmalen Kassen-Vergütungssätzen, angemessene Therapiekosten zahlen. Statt jedoch mit eben jenen angemessenen Preisen zu werben und die Patienten über die Vorteile einer regelmäßigen Behandlung auch ohne Kassenrezept aufzuklären, verfolgen viele Praxisinhaber ein Preisdumping mittels einfacher Fensteraufkleber mit der Aufschrift „5€ pro Massage“. Genau diese Werbung habe ich hier in Halle gesehen und war erschrocken, dass Fachkräfte für solche Honorierungen förmlich missbraucht werden.
All dies führt  dazu, dass medizinische Fachkräfte abwandern und irgendwann ein nicht zu deckender Bedarf besteht. Natürlich gibt es immer Menschen, welche auch für 5 Euro pro Stunde arbeiten, aber irgendwann werden auch diese mitbekommen, dass man nicht von der Hand in den Mund leben kann.
Man muss sich einmal überlegen, dass eine schulische Ausbildung wie die des Physiotherapeuten unentgeltlich ist und zum Teil sogar mit mehr als 6.500 Euro insgesamt finanziert werden muss, obwohl viele Kliniken und Einrichtungen ohne diese Praktikanten die therapeutische Betreuung nicht gewährleisten könnte. Als Dank für die Investition in die Ausbildung wird man mit einem Gehalt bestraft, welches einer dreijährigen Ausbildung in keinster Weise entspricht. Zusätzlich müssen bestimmte Weiterbildungen absolviert werden um im Beruf zu bleiben bzw. diesen erst einmal antreten zu können. So ist es heutzutage fast ein Muss knapp 1.300€ unmittelbar nach der Ausbildung zu investieren um die vierwöchige Weiterbildung „Manuelle Lymphdrainage“  absolvieren zu können. Diese steht als Voraussetzung in nahezu allen Stellenangeboten.  In den neuen Bundesländern zahlt diese Weiterbildung regelmäßig die Agentur für Arbeit, was immer noch paradox ist, denn man wollte doch mit jenen nichts mehr zu tun haben?! Die meisten Arbeitgeber hier berufen sich bei Bewerbungsgesprächen darauf und verneinen jede Zuwendung für diese Weiterbildung. Im Gegensatz dazu hörte ich von ehemaligen Mitschülern, welche den Schritt in die alten Bundesländer gewagt  haben, dass deren neue Arbeitgeber nicht nur diese, sondern auch zahlreiche weitere Weiterbildungen finanzieren, bei vollem Lohnausgleich auch während der Weiterbildung. Hier sehe ich die Arbeitgeber im Osten wieder in der Pflicht. Erst in diesem Jahr traf ich eine Kollegin auf der Messe in Leipzig, welche von Ihrem Arbeitgeber in Frankfurt Reiskosten und Kongressgebühren bezahlt bekommen hat, damit sie sich  Mitarbeiterin fortbildet. Ein solches Verhalten ist mir während meiner Recherche erstmals bekannt geworden und der Wunsch, dass man solch spendable Arbeitgeber öfter trifft, gewachsen.
Obwohl ich schon immer Medizin studieren wollte und diesen Traum auch aktuell leben darf, habe ich die Arbeit als Therapeut immer genossen. Wenn der finanzielle Ausgleich noch gestimmt hätte, hätte lediglich mein Traum zwischen mir und der Physiotherapie gestanden.


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